Martin Hug, Präsident Bergbahnen Graubünden, ist mit der vergangenen Wintersaison zufrieden.

«Die Treue der Schweizer Gäste war und ist ein wichtiger Anker»

Die Bündner Bergbahnen charakterisieren die Wintersaison 2022/23 als «herausfordernd, aber zufriedenstellend». Im Gespräch mit «GRimpuls» blickt Martin Hug, Präsident Bergbahnen Graubünden, auf die vergangene Saison zurück, auf die kommende Sommersaison voraus und spricht über Herausforderungen und Chancen.

Von Franco Brunner Mi, 17.05.2023

Herr Hug, akuter Schneemangel, steigende Preise aufgrund der Teuerung sowie die Möglichkeit einer eintreffenden Strommangellage, die ständig wie ein Damoklesschwert über den Köpfen schwebte. Hand aufs Herz, haben Sie schon je einmal eine Wintersaison erlebt, die unter derart schlechten Vorzeichen stand wie die jüngst abgelaufene?
Martin Hug: Die Wintersaison 2022/23 war sehr herausfordernd, ja. Diese aber als derart schwierig darzustellen, wie Sie es gerade tun, soweit würde ich nicht gehen. Der Corona-Winter 2020/21 war mindestens so anspruchsvoll. Oder die Wintersaison 2014/15 als die Nationalbank überraschend am 15. Januar den Euro-Mindestkurs von 1.20 Franken aufgehoben hat. Die Bergbahnbranche ist sich gewohnt, mit Unsicherheiten wie etwa den Witterungsbedingungen umzugehen und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Kommt hinzu, dass der Mangel an Schnee ja nicht schon zu Saisonbeginn bekannt war, sondern sich mit der Zeit entwickelte. Ein schleichender Prozess, der sehr viel Engagement, Flexibilität und auch Kreativität der Unternehmen erforderte. Auf die Strommangellage hat sich die Branche frühzeitig nach bestem Wissen und Gewissen vorbereitet. Wir wären gerüstet gewesen, waren aber natürlich sehr froh, dass die geplanten Massnahmen nicht angewendet werden mussten, denn das Verhalten der Gäste in solch einer Situation wäre sicher die grösste Unbekannte gewesen. Für die Anpassung der Ticketpreise, infolge Teuerung, hatten die Gäste durchaus Verständnis, zumal dies auch bei anderen Angeboten, Produkten oder Branchen der Fall war.
 

Also war der Winter 2022/23 ein Erfolg?
Die Wintersaison 2022/23 war aus Perspektive der gesamten Branche sowie aus Sicht der Unternehmen, welche hochalpin gelegen sind oder durch die technische Beschneiung ein ansprechendes Angebot garantieren konnten, zufriedenstellend. Für Unternehmen ohne Beschneiung war der Winter 2022/23 sehr, sehr schwierig. Einzelne Unternehmen haben sogar einen Totalausfall zu verzeichnen. Wobei in diesen Fällen auch weniger Kosten angefallen sind. Auf den Punkt gebracht, war der vergangene Winter in Graubünden nur dank der technischen Beschneiung zufriedenstellend möglich. Die technische Beschneiung war und ist eine Art Vollkaskoversicherung für die Bergbahnen, aber auch für die gesamte Tourismuswirtschaft, ja sogar für die Bündner Volkswirtschaft.
 

Worin lag in diesem Winter die allergrösste Herausforderung für die Skigebiete?
Die grösste Herausforderung war sicher der fehlende Naturschnee. Bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt. Dementsprechend galt es, sich immer wieder neu zu motivieren und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, um den Gästen ein qualitativ ansprechendes Angebot zu bieten. Dass der Naturschnee, letztlich jedoch bis Ende Saison auf sich warten lassen würde, damit hatte niemand gerechnet. Die Mitarbeitenden, insbesondere in den Bereichen Beschneiung und Pistenpräparation, haben mit ihrem Engagement, dem Willen und auch ihrem Mut für unkonventionelle Lösungen einen wichtigen Beitrag geleistet. Sie waren bereit, die Extrameile zu gehen. Dieser Einsatz wurde von den Gästen geschätzt und letztlich durch ihr Kommen auch honoriert.
 

Welche Rolle konnte Bergbahnen Graubünden als Branchenverband in diesen schwierigen Phasen einnehmen? Wie konnten Sie die Skigebiete aktiv unterstützen?
Bergbahnen Graubünden (BBGR) unterstützte seine Mitglieder primär in Zusammenarbeit mit Seilbahnen Schweiz (SBS) betreffend Strommangellage. In enger Zusammenarbeit mit Enrico Feurer (energieingenieur.ch) wurden zum einen Stromsparmassnahmen erarbeitet, die unternehmensspezifisch und der Situation angepasst umgesetzt werden konnten. Zum anderen galt es, gegenüber dem Bund die Bedeutung der Bergbahnen als Motor für den Wintertourismus darzulegen und aufzuzeigen, weshalb Bergbahnunternehmen in alpinen Gebieten nicht mit Sportanlagen im Mittelland gleichzusetzen sind. Anstrengungen bezüglich Letzterem werden die Branche auch künftig beschäftigen. Die Bedeutung des Tourismus für das Berggebiet wird in der Bundesverwaltung noch nicht überall erkannt. Deshalb ist es weiterhin sehr wichtig, dass sich BBGR gemeinsam mit SBS für die Interessen der Branche respektive seiner Mitgliedsunternehmungen einsetzt.
 

Sie haben zuvor die Wichtigkeit der technischen Beschneiung angesprochen, ohne die in diesem Winter nicht viel möglich gewesen wäre. Ein Trend, der sich in den kommenden Jahren wohl so weiterentwickeln dürfte. Mit Blick auf die Klimathematik keine guten Aussichten. Was kommt auf die Bündner Bergbahnen und auf die einzelnen Skigebiete diesbezüglich in den nächsten Jahren noch zu?
Ein strategischer Wandel, der bereits begonnen hat und bei dem die Beschneiung ein zentraler Faktor ist. Die technische Beschneiung beziehungsweise die Technologie des Snow-Managements verschafft den Unternehmen die notwendige Zeit, alternative Businessmodelle zu entwickeln und voranzutreiben. Nach wie vor ist es jedoch die Wintersaison, welche die erforderlichen Investitionen in eine nachhaltige Zukunft finanzieren kann oder sogar subventionieren muss. Der Klimawandel ist Fakt. Fakt ist aber auch, dass es für das heutige Businessmodell «Wintertourismus» noch keine adäquate Alternative gibt. Die Bündner Tourismuswirtschaft generiert nach wie vor den Grossteil ihrer Wertschöpfung im Winter, geschätzt in einem Verhältnis von 70 zu 30. Der Hotelier kann im Winter für das gleiche Zimmer das Doppelte bis Dreifache wie im Sommer verlangen. Bei den Bergbahnen finanziert das Wintergeschäft die Entwicklung des Sommers. Die Beschneiung wird deshalb in den nächsten Jahrzehnten von entscheidender Bedeutung sein. Sie hilft der Bündner Tourismuswirtschaft sich langsam, aber stetig zu transformieren und den neuen klimatischen Realitäten anzupassen. Dies unter Berücksichtigung einer nachhaltigen Perspektive. Mögliche Strategien sind ein sanfter Übergang zu einem Ganzjahresbetrieb, indem auch der Frühling und der Herbst vermehrt eine Rolle spielen. Oder aber auch die zusätzliche Auslastung der bereits verbauten Infrastrukturen in den Schneesportgebieten zur nachhaltigen Energieproduktion und Energieverteilung. Bergbahnen können in Zukunft zu Energiepartnern werden, unter anderem auch durch die Nutzung der Kraft des Wassers aus den Speicherseen und durch die synergetisch optimierte Benützung der Transportleitungen für die Beschneiung. Weiter können Fotovoltaik- und Windanlagen in hochalpinen Lagen dazu führen, dass insbesondere in den Winterzeiten die lokal und nachhaltig produzierte Energie direkt vor Ort in die Betreibernetze eingespeist werden kann. Wenn der Wintertourismus weniger wird, besteht in Zukunft eine grosse Chance, durch die In-Wert-Setzung und Nutzung von Sonne, Wind, Wasser und Biomasse energieautark zu werden.
 

Bleiben wir noch beim Thema Beschneiung. Mehr Beschneiung heisst mehr Kosten und dies bedeutet wiederum teurere Ticketpreise. Wird das Ski- und Snowboardfahren bald zum Luxussport?
Es ist richtig, dass mehr Beschneiung mehr Aufwand bedeutet, der finanziert werden muss. Hieraus allerdings abzuleiten, dass sich der Schneesport am Berg zum Luxusgut entwickelt, greift zu kurz. Letztlich ist es stets eine Frage der Wertigkeit. Ein Beispiel. Ein Kunde ist bereit, für ein 90-minütiges Rockkonzert im Hallenstadion 130 Franken zu bezahlen oder für eine 60-minütige Tennisplatzmiete in Zürich 60 Franken. Der gleiche Kunde beklagt sich aber darüber, dass eine Tageskarte von 80 Franken für ein Schneesporterlebnis von 08.30 bis 16.30 Uhr zu teuer sei. In diesem Fall ist es dem Skigebiet oder der Branche nicht gelungen aufzuzeigen, welche Leistungen hinter dem Angebot stehen und dass diese den Preis wert sind. Ich bin der Meinung, dass hier noch Potenzial vorhanden ist. Die Branche kann mit gutem Gewissen sagen, dass ihre Erlebnisse den Preis wert sind. Dies haben die Pandemie und die Wertschätzung der Gäste gezeigt.
 

Doch auch trotz Beschneiungsmöglichkeiten dürften wohl vor allem die tieferliegenden Skigebiete in Zukunft vor immer grösseren Herausforderungen stehen. Verzeihen Sie das platte Wortspiel, aber sind die kleineren, tieferliegenden Gebiete sozusagen bald schon Schnee von gestern?
Gemäss der Studie «Herausforderung Klimawandel» aus dem Jahre 2013 verfügt Graubünden durch die Höhe seiner Skigebiete über einen natürlichen Wettbewerbsvorteil. In den meisten Bündner Skigebieten wird die technische Schneesicherheit auch in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts gegeben sein. Die klimatischen Voraussetzungen für die technische Beschneiung werden sich allerdings verschärfen. In kürzerer Zeit wird gleich viel oder mehr Schnee benötigt. Dies erfordert die entsprechende Infrastruktur und einen höheren Ressourceneinsatz, was zwangsläufig zu höheren Kosten und finanziellem Druck auf die Unternehmen führt. Hierbei ist zu erwarten, dass die durch den Klimawandel verletzlichsten Unternehmen kaum über die Möglichkeiten verfügen, um adäquat auf die anstehenden Herausforderungen zu reagieren. Das bedeutet, in Graubünden wirkt nicht die Höhenlage limitierend, sondern die wirtschaftliche Potenz.
 

Vor Probleme stellte die Branche diesen Winter auch der Arbeitskräftemangel. In einer Medienmitteilung hat Bergbahnen Graubünden verlauten lassen, dass diesbezüglich in Zukunft «Massnahmen wohl überlegt und zielgerichtet angelegt» sein müssen. An welche Massnahmen denken Sie da?
Der Arbeitskräftemangel wird die Bündner Wirtschaft nicht nur kurz- oder mittelfristig, sondern die nächsten Jahrzehnte fordern. Deshalb sind nachhaltige Lösungen anzustreben. Die Herausforderung ist komplex und vielschichtig. Sie geht von Wohnraum für einheimische Arbeitskräfte, über Aktivitäten der Verbände, unternehmerische Lösungen zur Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber bis hin zu Anpassungen der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen. Durch die demographische Entwicklung, den gesellschaftlichen Wandel sowie die Verschiebung vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt hat sich die Ausgangslage grundlegend geändert. Während bis anhin der Schutz des Arbeitnehmers im Vordergrund stand, damit der Arbeitgeber seine Position nicht ausnutzt, wird künftig der Arbeitnehmer aus einer Position der Stärke entscheiden können. Damit stellt sich die Frage, ob gewisse Regulatorien überhaupt noch gerechtfertigt sind. Würde es nicht vielmehr Rahmenbedingungen benötigen, dies es den Arbeitgebenden ermöglichen auf die immer individuelleren Bedürfnisse der Arbeitnehmenden einzugehen? Während bis anhin bei den Vorstellungsgesprächen die Frage im Vordergrund stand, was bringen sie dem Unternehmen an Mehrwert, wird künftig die Frage im Vordergrund stehen, was bieten sie mir als Arbeitgeber.
 

Blicken wir zuletzt noch auf die anstehende Sommersaison. Was glauben Sie, wie wird der Sommer für die Bündner Berggebiete werden?
Ich gehe von einem ansprechenden, vielleicht nicht ganz so starken Sommergeschäft wie in den letzten beiden Jahren aus. Die Treue der Schweizer Gäste war und ist ein wichtiger Anker. Dies in Kombination mit der wiederaufkommenden internationalen Reisetätigkeit und der spürbaren Konsumfreude nach Corona. Es werden aber sicher auch wieder Gäste aus der Schweiz ins Ausland reisen. Das Verhalten der Gäste während der Pandemie hat deutlich gezeigt, dass Bergerlebnisse sowohl im Winter als auch im Sommer einem Bedürfnis entsprechen und die physische und psychische Gesundheit stärken. Entscheidend werden aber sicher die Witterungsbedingungen während der Hauptferienzeiten sowie an den Wochenenden sein. Wenn sich die aktuelle Entwicklung fortsetzt, bleibt es jedenfalls herausfordernd.