Ohne Gegenmassnahmen fehlt Graubünden bis 2040 jeder fünfte Arbeitnehmer.

Der Fachkräftemangel spitzt sich zu

Eine Analyse des Wirtschaftsforums Graubünden zeigt, dass der Personal- und Fachkräftemangel in den kommenden 20 Jahren Graubünden hart treffen könnte. Denn wenn die Baby-Boomer-Generation in den kommenden Jahren in Pension geht, falle bis 2040 jeder fünfte Arbeitnehmende weg. Deshalb müssten die Bündner Wirtschaft und Politik Massnahmen ergreifen, um zusätzliche Arbeitskräfte zu gewinnen und sich darauf einrichten, mit weniger Personal auszukommen.

Von Redaktion GRimpuls Do, 13.10.2022

Bisher sei im politischen Diskurs vor allem der Begriff Fachkräftemangel benutzt und damit hochqualifizierte Spezialisten adressiert worden, Künftig müsse Graubünden aber von einem breiten, strukturellen Arbeitskräftemangel ausgehen, heisst es in der Studie des Wirtschaftsforums Graubünden. Dieser strukturelle Arbeitskräftemangel betreffe aber nicht nur Graubünden sondern die ganze Schweiz.

Der Grund für diesen Arbeitskräftemangel liege in der unausgeglichenen Bevölkerungsstruktur. So werden laut der Studie des Wirtschaftsforums in den kommenden 20 Jahren in Graubünden rund 59 000 Personen das Rentenalter erreichen und aus dem Arbeitsmarkt austreten. Gleichzeitig würden nur 35 000 junge Nachwuchskräfte ins Erwerbsleben einsteigen. Allein aufgrund dieser demografischen Verschiebungen würden dem Arbeitsmarkt 24 000 Personen weniger zur Verfügung stehen.

Ohne Gegenmassnahmen ein geringeres Wirtschaftswachstum

Auf den künftige Personal- und Fachkräftemangel wirkt sich aber nicht nur die Bevölkerungsstruktur aus. Auch die Zuwanderung von Arbeitskräften, die Pendler und die Höhe der Erwerbsbeteiligung der einheimischen Bevölkerung würden beeinfluss, wie gross die Personallücke künftig sein werde. Von einem mittleren Wachstum der Bündner Wirtschaft von einem Prozent ausgehend, benötige diese 2040 rund 123 000 Vollzeitäquivalente, kommt die Studie zum Schluss. Bevölkerungsentwicklung, Pendler, Migration sowie eine leicht höhere Erwerbsbeteiligung der einheimischen Bevölkerung mitgerechnet, könnten 2040 in Graubünden bis zu 30 000 Vollzeitstellen nicht besetzt werden.

Ohne Gegenmassnahmen führe dieser Umstand zu einem geringeren oder sogar rückläufigen Wirtschaftswachstum, schreibt das Wirtschaftsforum weiter. «Die Dimensionen des prognostizierten Personalmangels müssen uns zu denken geben», sagt dazu Brigitte Küng, Co-Geschäftsführerin des Wirtschaftsforums Graubünden. «Uns fehlen bald schlichtweg die Menschen, um so weiter zu wirtschaften wie bisher.»

Handlungsfelder gegen Personal- und Fachkräftemangel

 

Mehr Zuwanderung aus Drittstaaten

Wichtige Branchen im Kanton Graubünden, etwa der Tourismus, die Bauwirtschaft und das Gesundheitswesen, sind stark von ausländischen Arbeitskräften abhängig. In dieser Situation aber alleine auf die Zuwanderung aus dem EU- und EFTA-Ausland zu hoffen, sei trotz dem hohen Lohnniveau und dem guten Ruf der Schweiz riskant, kommt die Studie zum Schluss. Denn die Bevölkerungsstruktur in Europa ähnelt der schweizerischen und das Angebot an Arbeitskräften werde deshalb in der europäischen Nachbarschaft ebenfalls abnehmen.

Sei die Schweiz nicht gewillt, ihre Migrationspolitik im Bereich von Drittstaaten ausserhalb der EU und EFTA-Staaten zu öffnen, werde Graubünden die benötigten Arbeitskräfte vermehrt in der Schweiz suchen müssen. Deshalb müsse der Kanton die eigene Bevölkerung, die Zweitheimischen und potenzielle Pendler, Grenzgänger und Zuzüger stärker in den Fokus stellen.

Dieser strukturelle Personal- und Fachkräftemangel stelle die Bündner Arbeitgeber vor neue Herausforderungen. Sie müssten mit härteren Bandagen um Personal kämpfen, schreiben die Studienautoren. Das heisse, dass die Löhne tendenziell steigen würden, ebenso die Rekrutierungskosten und Graubünden starte in diesen sich verschärfenden Arbeitsmarktwettbewerb nicht gerade in der Pole Position.

30 Massnahmen vorgeschlagen

Das Wirtschaftsforum Graubünden stellt im Bericht rund 30 Massnahmen zur Diskussion, die gegen den Personal- und Fachkräftemangel ergriffen werden könnten. Einerseits sollen Massnahmen umgesetzt werden, die das Arbeitskräfteangebot erhöhen, andererseits sollten Massnahmen zur Produktivitätssteigerung ergriffen werden, die den Bedarf an Personal bei gleichbleibender Wirtschaftsleistung verringern.

Massnahmen zur Erhöhung des Arbeitskräfteangebots

 

Massnahmen zur Senkung des Arbeitskräftebedarfs

 

Folgende Massnahmen könnten unter anderem das Arbeitskräfteangebot erhöhen:

  • Freiwillige Weiterarbeit der Baby-Boomer-Generation nach dem 65. Altersjahr. Diese Generation müsse motiviert werden, dem Arbeitsmarkt über das offizielle Rentenalter hinaus zumindest teilweise zur Verfügung zu stehen.
  • Bedürfnisgerecht Arbeitsmodelle 55+
  • Eine möglichst hohe und lückenlose Erwerbstätigkeit der Bündnerinnen und Bündner.
  • Führungsstrukturen und Arbeitszeitmodelle, welche die Bedürfnisse der Generation Z ernst nehmen.
  • Angebote, die der Vereinbarkeit von Beruf und Familie dienen, müssten als Service Public verstanden werden. Die Subventionierung der externen Kinderbetreuungsangebote müsse aber mit einer Erwerbstätigkeit verknüpft werden.
  • Konsequentes ausspielen des Trumpfs als Wohn- und Lebensraum mit hoher Freizeitqualität mit besonderem Fokus auf die Verfügbarkeit von preiswertem Wohnraum.

Im Bereich der Produktivitätssteigerung erwähnt der Bericht unter anderem:

  • Straffung der Geschäftsmodelle und Angebotspaletten. Prozesse müssen personaleffizienter gestaltet werden.
  • Stärkere Digitalisierung und Automatisierung.
  • Effizientere Abläufe und Personaleinsparungen durch E-Government-Massnahmen.

Daniel Fust, CEO der Graubündner Kantonalbank und Präsident des Wirtschaftsforums Graubünden meinte zu diesen Herausforderungen: «Das Thema Personal- und Fachkräftemangel verdient auf der politischen Agenda des Kantons und in den Unternehmensstrategien eine hohe Priorität.»